Stellungnahme zur Automatischen Spracherkennung (ASR) | BSD|AG ASR

Schriftdolmetscher*innen übertragen gesprochene Sprache in gut lesbaren Text, damit alle Menschen die verbalen und nonverbalen Inhalte aufnehmen und an dem Gespräch teilhaben können, auch wenn sie eine Hörbeeinträchtigung haben, wenn die gerade gesprochene Sprache für sie eine Fremdsprache ist oder wenn sie sich in Umgebungen mit schlechter Akustik befinden.

Der Bundesverband der Schriftdolmetscher*innen Deutschlands vertritt die beruflichen Interessen der in ihm organisierten Schriftdolmetscher*innen, klärt die Gesellschaft über die Leistungen von Schriftdolmetscher*innen auf und setzt sich aktiv für die Sicherung und Steigerung der Qualität der angebotenen Leistungen ein.

Als Bundesverband der Schriftdolmetscher*innen Deutschland begrüßen wir die neueren Entwicklungen auf dem Feld der automatischen Spracherkennung (ASR). Apps und Software mit automatischer Spracherkennung ermöglichen Menschen mit Hörbeeinträchtigung ein Stück weit Autonomie in Kommunikations-Situationen. Sie sind vor allem in informellen Gesprächssituationen eine Hilfe, in denen die Sprecher*innen gewillt und in der Lage sind, den automatisch erzeugten Text mit der gewünschten Aussage abzugleichen und Fehler und Auslassungen zu korrigieren.

Wir warnen jedoch ausdrücklich davor, technische Möglichkeiten als pauschale Lösung für die Herausforderungen der Inklusion von Menschen mit Hörbeeinträchtigung zu werten und zu implementieren.

Schriftdolmetscher*innen übertragen Sinneinheiten und orientieren sich in der Gestaltung der Textform an den Bedürfnissen der Nutzer*innen. Der gesprochene Text kann z. B. Wort für Wort verschriftlicht, schriftsprachlich geglättet, zusammengefasst oder vereinfacht werden. Darüber hinaus übertragen sie auch nicht-sprachliche Informationen, die Guthörende automatisch aufnehmen, z. B. Emotionen oder Nebengeräusche.

ASR dagegen erkennt in Sprache keinen Sinn. Sie findet mithilfe von statistischen Modellen Buchstabenfolgen, die mit großer Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Schallkurve entsprechen. Dafür benötigen Sie eine störungsfreie Tonquelle und einen standardsprachlichen Ausgangstext. Fehler, die auch bei besten Ausgangsbedingungen häufig sind, werden nicht korrigiert. Tonfolgen, für die keine ausreichend wahrscheinliche Entsprechung gefunden wird, werden kommentarlos nicht übertragen.

Schriftdolmetscher*innen können Ausgangston mit einem deutlich breiteren Qualitätsspektrum verarbeiten. Sie können mit Dialekten, Akzenten, undeutlicher Artikulation, sprachlichen Eigenheiten, Denglisch und eingestreuten fremdsprachlichen Segmenten umgehen. Den Text gliedern Schriftdolmetscher*innen mit Satzzeichen und Absätzen. Auslassungen und Unsicherheiten werden transparent markiert. Sie können auf Rückfragen der Nutzer*innen eingehen und versetzen diese in die Lage, auf Unklarheiten zu reagieren. Sie können auf Wunsch der Nutzer*innen auch moderierend in die Kommunikations-Situation eingreifen.

ASR liefert, unabhängig von der Qualität der Übertragung, einen scheinbar verbindlichen und unhinterfragbaren Text, der darüber hinaus von den meisten Systemen ohne konsistente Groß- und Kleinschreibung und ohne korrekte Zeichensetzung ausgeliefert wird. In dem automatisch erzeugten Text sind weder Sprecherwechsel markiert noch sinnvolle Absätze gebildet und zudem werden nonverbale Äußerungen wie z. B. Ironie nicht übertragen.

Wenn Veranstalter*innen ASR zuschalten und auf Schriftdolmetscher*innen verzichten, nehmen sie in Kauf, Menschen, die sich teilweise oder ausschließlich auf den Schrift-Text verlassen müssen, unvollständige und falsche Informationen zu übermitteln.

Menschen mit Hörschädigung – z. B. in der Ausbildung, im Arbeitsleben oder beim Arztbesuch – auf eine App auf dem eigenen Smartphone zu verweisen, bedeutet, den Betroffenen die Verantwortung dafür aufzuerlegen, die akustische Grundlage für Kommunikation selbst herzustellen und aufrechtzuerhalten. Sie können sich so – anders als die guthörenden Gesprächspartner*innen – nicht ausschließlich auf die Kommunikation konzentrieren, sondern müssen parallel dafür sorgen, dass Soft- und Hardware immer aktuell und kompatibel sind, sie müssen die Stromversorgung und die Datenverbindung sicherstellen und sie müssen – als Hörgeschädigte – dafür sorgen, dass der Ausgangston den Anforderungen der ASR entspricht.

Dies trägt nicht dazu bei, dass Menschen mit Hörbeeinträchtigung gleichberechtigt und auf Augenhöhe mit Guthörenden an Kommunikation als zentralem Aspekt des gesellschaftlichen und beruflichen Lebens teilhaben können.

Teilhabe an Kommunikation lässt sich nicht einfach installieren wie eine App, die man herunterlädt und abhakt. Teilhabe an einer barrierefreien Kommunikation ist ein individueller Prozess, der jedes Mal aufs Neue gestaltet werden muss. Als Berufsverband der Schriftdolmetscher*innen Deutschlands fordern wir Kostenträger, Veranstalter*innen, Arbeitgeber*innen und Behörden dazu auf, sich nicht auf die scheinbar einfache technische Lösung zurückzuziehen, sondern Menschen mit Hörschädigung die professionelle Leistung ausgebildeter Spezialist*innen zur Verfügung zu stellen, die ihnen zusteht. Nur so kann gleichberechtigte Teilhabe gelingen.

Berlin, 25.03.2021

Mitunterzeichner*innen:

DSB – Deutscher Schwerhörigenbund e.V.:

ÖSDV – Österreichischer SchriftdolmetscherInnen-Verband e.V.: